Torschlusspanik

von | 04.10.2019 | Projektfalle der Woche, Projektmanagement

In jedem Projekt gibt es einen Punkt, an dem sich die Haare nicht mehr nur spalten, sondern vierteln, achteln und sechzehnteln lassen. Da entstehen scheinbar jeden Tag neue Anforderungen, findet jemand Lücken in der Denke des Projektteams und hinterfragt den Sinn und Unsinn getroffener Entscheidungen.

Unsicherheit vor dem operativen Start

Typisch gerade in den sechs bis acht Wochen vor dem operativen Start, wenn es also ernsthaft darum geht, dass lebende echte Menschen den neuen Prozess nutzen. Diejenigen, für die das Projekt ins Leben gerufen wurde, diejenigen, deren Arbeitsweise sich nun ändern wird, sind nun nicht mehr meilenweit entfernt von den Neuerungen. Jetzt werden sie intensiv mit Trainings, Prozess-Workshops und Kommunikation beglückt. Und wie das so ist mit den Menschen, sie fangen jetzt auch an, sich für das Thema zu interessieren. Nachdem es offenbar nicht von alleine weggeht und kein Weg mehr darum herum führt, macht es jetzt Sinn, sich mit der Materie zu beschäftigen.

Und das wirft Fragen auf. Wieso haben wir das so entschieden? Wisst Ihr nicht, dass in unserem Bereich die Uhren anders ticken? Was verbirgt sich hinter dieser Business Rule, dieser Selektion, diesen Daten? Wo kommt das überhaupt her, wer hat das validiert, dass wir hier so arbeiten? Und könnte man das nicht noch besser machen, hier einen Schnörkel ansetzen und da ein Schleifchen drum herumlegen?

Geht es nicht noch ein bisschen besser?

Nicht nur die Menschen in den operativen Bereichen, auch die Menschen im Projektteam fangen jetzt immer häufiger an, ihre bisherigen Entscheidungen zu verbessern. Das kommt zum einen von der grösseren Erfahrung, die sie mit dem Prozess oder Tool gesammelt haben. Zum anderen wird es auch für sie jetzt ernst – ihr Werk wird der breiteren Öffentlichkeit, nämlich den Kollegen im Bereich, zugänglich gemacht. Und muss standhalten. Könnte man da nicht noch ein bisschen hier und da schrauben? Damit es noch akkurater, noch besser, noch perfekter wird, jeder noch so kleine Einzelprozess mit abgedeckt ist?

Herausforderung für das Projektvolumen

In diesen Tagen fällt es besonders schwer, das Projektvolumen zu managen und das Team auf Kurs zu halten. Jeden Tag kommen neue Erkenntnisse, Ideen und Unsicherheiten auf die Tagesordnung. Wer jetzt versucht, allem gerecht zu werden und alle neuen Erkenntnisse als Anforderungen an das Projektteam umzusetzen, kommt in den Wald. Es ist hohe Konzentration gefragt: Was ist wirklich wichtig? Was brauchen wir im Kern, um das Neue operativ flächendeckend nutzen zu können?

Und es braucht klare Unterscheidung und viel Hinterfragen: Was war von Anfang an vorgesehen, was können wir nachliefern? Was kommt in der nächsten Evolutionsstufe? Was steckt hinter der Frage? Brauchen wir eine technische Lösung, mehr Aufklärung über Business Rules und Prozesse, stimmen die Daten nicht? Oder braucht es mehr Betreuung, um das gute Gefühl zu bekommen, dass sich das Projektteam wirklich auskennt mit der Materie und sich die Zeit nimmt, um die operativen Kollegen bei der Umstellung zu unterstützen?

Jetzt besser zweimal hinterfragen

Behalten Sie jetzt einen kühlen Kopf und einen klaren Kompass. Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen von der wachsenden Dringlichkeit, mit der Anfragen vorgetragen werden. Nehmen Sie sich die Zeit, den Kontext der Anfrage zu hinterfragen und die beste Unterstützung für den Anfragenden herauszufinden. Auch wenn das die Beteiligten oft irritiert, die Zeit ist wohl investiert. Besser zweimal nachgefragt und das Verständnisproblem gelöst, als einmal zu schnell den Prozess über den Haufen geworfen und die schon fast fertige Lösung auf den letzten Metern nochmal geändert.