Projekterfolg ist das Ergebnis gelungener Zusammenarbeit. Das ist schon lange mein Motto. Als Sozialpsychologin ist es auch die Brille, mit der ich auf die Projektteams meiner Kunden schaue. Sozialpsychologen beschäftigen sich mit Gruppenprozessen, Gruppendynamik, Interaktion und Kommunikation in und zwischen Gruppen. Angewandt auf den beruflichen Alltag haben wir mit Führung und ihrer Wirksamkeit, Aufbrechen von Silos zwischen Unternehmensbereichen, Entwicklung von erfolgreichen Teams und, Sie ahnen es, interdisziplinären Projektgruppen zu tun. Womit wir beim Projektmanagement gelandet wären.
Das projektmagazin fragt in seiner diesjährigen blogparade „Brauchen wir noch Grenzen im Projektmanagement?“. Angesichts von agilen Formen der Zusammenarbeit, holokratischen Experimenten und unternehmensübergreifenden Kooperationen scheint es, als ob sich demnächst alle bisher bekannten Grenzen von Funktion, Abteilung, Unternehmen und Arbeitgeber auflösen werden.
Das verlangt den beteiligten Menschen eine Menge ab – vorbei ist es mit Status, Rang und Hierarchie. Und jetzt lösen sich auch noch Abteilungen, Geschäftsbereiche und Unternehmensgrenzen auf. Es wird zu einer Frage der persönlichen Verantwortung, wie wir mit dieser vermeintlichen Grenzenlosigkeit umgehen.
Denn das Problem sind nicht die Grenzen, sondern wie wir sie definieren, wie wir mit ihnen umgehen, und dass unsere Rollen mehr werden durch die weniger klar definierten Grenzen. Dadurch müssen wir häufiger und trennschärfer unsere gerade aktuelle Rolle klären – für uns selbst und mit den anderen.
Insofern ändern sich die Grenzen nur. Sie werden gleichzeitig weniger – weniger gross, weniger starr – und mehr – vielfältiger, flexibler, näher am Leib und komplexer für den oder die Einzelne.
Gute Zusammenarbeit braucht Struktur
Die bisher festen Strukturen von Organigramm, Arbeitgeber und Funktionsbeschreibung haben Sicherheit und Orientierung vermittelt. Was ist meine Aufgabe? Wofür bin ich zuständig? Was will mein Geschäftsbereich erreichen? Wie verhalte ich mich gegenüber den Vertretern anderer Arbeitgeber – typischerweise Kunden oder Lieferanten meines Arbeitgebers? Welche Interessen muss ich im Projekt X oder in der Zusammenarbeit Y vertreten?
Machen wir uns nichts vor: jede der bisher in hübsche Kästchen eingeteilte Gruppe hat ihre eigenen Interessen, ihre eigenen Zielvorgaben, ihre eigene Ansicht zu Erfolg und Leistung, und nicht selten ihre ganz eigene Kultur des Miteinander. Gerade weil sie unterschiedliche Interessen und Sichtweisen einbringen, werden sie ins Projekt-Team entsandt, um sicherzustellen, dass das gemeinsame Ergebnis allen Anforderungen und Zielen standhält.
Häufig arbeiten wir in Projektkonstellationen unserer Kunden mit Vertretern von zwei Service-Bereichen, mehreren Geschäftsbereichen und Dienstleistern von verschiedenen Providern zusammen. Es ist eine Kunst, über Abteilungs- und Bereichsgrenzen hinweg ein integriertes Team herzustellen und zum gemeinsamen Ziel zu führen. Diese Kunst erfährt noch ihre Steigerung, wenn unterschiedliche Arbeitgeber mit ihren je eigenen Anforderungen, Spielregeln und Philosophien mitmischen.
Die Grenzen im Organigramm mögen sich auflösen, doch die Aufgaben und Ziele der verschiedenen Vertreter sind immer noch komplex unterschiedlich und im Sinne eines gemeinsamen Erfolges unter einen Hut zu bringen.
Gute Zusammenarbeit braucht Klarheit
Nur weil äussere Strukturen verschwinden, heisst das nicht, dass wir keine mehr brauchen. Wir alle haben ein Bedürfnis nach Orientierung und Verlässlichkeit.
In Projekten essentiell: Verantwortlichkeiten abstecken. Zwei fatale Situationen folgen, wenn das nicht der Fall ist: Dinge werden doppelt erledigt – kaum etwas ist frustrierender für die Handelnden. Oder Dinge werden gar nicht bearbeitet, weil jeder dachte, der andere kümmert sich schon. Am allerschlimmsten ist das diffuse Gefühl, das sich einstellt, wenn über Aufgaben und Zuordnungen überhaupt nicht gesprochen wird. Wenn alles „eigentlich“ völlig klar ist, im Ergebnis aber evident wird, dass keine eindeutigen Vereinbarungen sondern nur stillschweigende Erwartungen im Raum standen. Dann regieren Missverständnisse, geplatzte Zusagen, Misstrauen und Konflikt.
Wenn in Teams die Rollen und Verantwortlichkeiten nicht explizit geklärt sind, entstehen diffuse Situationen, vage Annahmen und implizite Vermutungen. Dann werden Titel wie „Product Owner“ ebenso frei-assoziierend interpretiert wie „Solution Manager“, „Platform Owner“, „Team Lead“ oder „Gute Fee“. Sobald klar ist, welches Verständnis sich hinter den Titeln verbirgt und welche Zuständigkeiten damit auch übernommen werden, kann das Team produktiv zusammen arbeiten.
Gute Zusammenarbeit braucht Bewusstsein für die eigene Rolle
Je weniger Halt der oder die Einzelne in festen Strukturen findet, umso wichtiger wird die persönliche Definition der eigenen Rolle. An einem einzigen Tag können ein Teamleiter und seine Kollegin mehr als zehn Rollen einnehmen:
– Führungskraft für ihre disziplinarisch zugeordneten Mitarbeiter
– Coach für eine fachliche Frage im Umfeld
– Sparringspartner für die Kollegin in der Stabsabteilung, die das Budget für die gemeinsamen Projekte vertreten muss
– Projekt-MitarbeiterIn in einem bereichsübergreifenden Projekt
– Angestellte in der Diskussion mit HR über den eigenen Urlaubsantrag
– Vertraute für einen Kollegen, der ein Problem mit dem gemeinsamen Chef hat
Gegenüber den beauftragten Dienstleistern sind sie vielleicht
– Einkäufer und AuftraggeberIn
– Feedback-GeberIn
– KoordinatorIn mit einem zweiten Dienstleister
– Brainstorm-Beteiligte für eine neue gemeinsame Initiative
In jeder dieser Rollen haben unsere exemplarischen Teamleiter unterschiedliche Aufgaben, Ziele und Verantwortlichkeiten. Wenn wir sie am Nachmittag in einen Workshop mit dem Scrum-Team schicken, kann es durchaus sein, dass die beiden erstmal sortieren müssen, ob ihr Beitrag jetzt fachlicher Input, Koordination oder Anforderung aus Kundensicht sein soll.
Auch das ist nicht schlimm, ich bin sicher, unsere beiden sind der Aufgabe gewachsen. Je vielfältiger ihre Rollen werden, umso häufiger muss aber dieser innere Sortierprozess stattfinden. Sonst fallen die zwei im wahrsten Sinne aus der Rolle.
Rollenklärung schafft Bewusstsein
Das Verschwinden der starren Grenzen hat Vorteile für die integrierte Zusammenarbeit und die Chancen, gemeinsame Ziele zu erreichen. Es verlangt uns aber gleichzeitig einen bewussteren Umgang mit unserer Rolle in der jetzt aktuellen Situation ab, sonst tappen wir von einem Fettnäpfchen ins andere.
Beispiel Kaffeetrinken mit der Projektkollegin: findet hier gerade ein Austausch mit dem Kunden des eigenen Hauses, dem Vertreter des Mitbewerbers bei einer anderen Ausschreibung oder einem Kollegen im eigenen Team statt?
Es erfordert Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst und den anderen, die Unklarheiten, Unsicherheiten und das diffuse Dazwischen wahrzunehmen. Die neue Freiheit braucht ein neues Bewusstsein und gelebte Verantwortung. Kein Verstecken mehr hinter Status, Rang und Firmentitel. Jetzt ist der einzelne Mensch gefragt! Ich freu mich drauf!
Das bewährte Mittel zur Schaffung dieses Bewusstseins ist die Klärung der Rollen und Verantwortlichkeiten im Team. So selbstverständlich das zum Start in die Zusammenarbeit gehören sollte, so selten findet der Workshop im echten Leben statt. Zu verführerisch ist die vermeintliche Klarheit von Titeln und Funktionen.
Gerade diese Woche bekamen wir das Feedback eines Kunden: „Der Rollenklärungs-Workshop hat mir die Augen geöffnet! So muss man in ein neues Projekt starten, mit klaren Rollen und Verantwortlichkeiten, noch bevor wir ins eigentliche Doing starten!“ Genau. Dann klappt’s auch mit dem Team-Erfolg.