Bin ich verlassen, wenn ich mich verlasse?

von | 22.02.2018 | Führung

Es ist der ewige Zwiespalt

Wie weit muss ich mich selbst kümmern, um sicherzustellen, dass alles zum Termin fertig wird? Und wie weit kann ich mich darauf verlassen, dass mein Team alles rechtzeitig fertig haben wird? Im Projektgeschäft besonders relevant, aber auch im operativen Geschäftsalltag wimmelt es von wichtigen Terminen. Die Kundenpräsentation, der Product Launch, die Messe, der Monatsabschluss, der Banktermin, die Beiratssitzung. Bis dahin muss alles zuverlässig erledigt sein.

Natürlich haben wir alles entsprechend gemanagt. Alle sind gebrieft darüber, dass und was sie zuliefern sollen. Wir haben Pufferzeiten eingerechnet, falls etwas dazwischen kommt. Und wir haben laut Plan genügend Zeit, um die zusammen getragenen Unterlagen noch zu sichten, zu verdichten und in ein stimmiges Gesamtwerk zu verwandeln.

Und dann verlassen wir uns darauf, dass alle zuliefern.

Wie machen Sie das? Haken Sie alle zwei Tage nach? Warten Sie ab, wer den Termin verpasst und hauen dann auf den Tisch, wenn nicht alles da ist? Schicken Sie Ihre Assistentin oder Ihren Abteilungsleiter voran um alle Schäfchen rechtzeitig zusammentreiben? Oder kontrollieren Sie selbst?

Geht es Ihnen auch so, dass trotz bester Vorbereitung jedes Mal etwas dazwischen kommt? Abhängigkeiten tauchen auf, die vorher nicht bekannt waren. Meier, Müller oder Schulze werden krank und kein anderer im Unternehmen kann dieselben Auswertungen erstellen wie er oder sie. Kurz vor dem Termin fällt im Gespräch mit einem der Zuliefernden auf, dass wesentliche Teile des Briefings missverstanden wurden.

Wieso nur fällt das allen Beteiligten erst jetzt auf?

Dieses Phänomen kennen wir schon, seit wir das erste Mal etwas koordiniert haben. Und weil wir es kennen, beugen wir vor. Wir informieren alle über Ziel, Format und Liefergegenstand. Wir setzen Kontaktpersonen und Ansprechpartner ein und veranstalten regelmässige Status-Updates auf Arbeitsebene. Dort wiederholen wir noch einmal wesentliche Aspekte des Zeitplans, haken Listen ab und erinnern an offene Punkte. Bei genauerer Betrachtung kann sich keiner der Beteiligten darauf berufen, die Informationen nicht erhalten zu haben.

Und doch kommt es immer wieder vor, dass „völlig überraschend“ ein Liefertermin im Raum steht. So wie Weihnachten jedes Jahr völlig überraschend in den Kalender purzelt. Ist das ein Zeichen für Management-Amnäsie?

An solchen Tagen zweifle ich. 

Ich zweifle an meiner Grundüberzeugung, dass erwachsene Menschen in der Lage sind, selbst zu denken. Dass sich ein erfahrener Mitarbeiter überlegt, welche Zusage er macht und welche Fragen für ihn noch offen sind. Und dass er oder sie diese Fragen dann rechtzeitig stellt. Ich zweifle daran, ob ein vertrauensvoller Führungsstil der angebrachte ist.

Meine Tendenz ist, je kritischer ein Termin ist und je näher er kommt, mich umso mehr ins selbst Nachhaken und Nachverfolgen einzuklinken. Das kann durchaus informell stattfinden – beim zufälligen Treffen in der Kaffeeküche, am Rande eines anderen Meetings erkundige ich mich nach dem Stand, ob alles läuft.

Vielleicht bin ich ein Nerd, was die Einhaltung von Lieferzusagen angeht. Das bringt das Thema Projektmanagement so mit sich. Meilensteine stehen ja nicht nur zur Dekoration in der Timeline. Ich gebe gern zuverlässige Lieferzusagen. Zu meinen Kunden, zu meinen Auftraggebern, zu den Projekt-Auftraggebern meiner Kunden. Und ebenso zu meinen Mitarbeitern, Kollegen, Team-Mitgliedern, Lieferanten und anderen interessierten Parteien, mit denen ich zusammenarbeite. Da bin ich definitiv old-school.

Offenbar geht es aber auch ganz anders. 

Ich beobachte immer wieder Führungskräfte, die sehr lässig mit dem Thema umgehen. Wenn nicht rechtzeitig alles da ist, hat eben der Zulieferer nicht geliefert. Unsere Führungskraft hat damit nichts zu tun. Er oder sie macht nur transparent, wo die Verzögerung herkommt. Und dann schauen alle dorthin und machen Druck, damit der Zulieferer schleunigst nachliefert. Das ist für mich kein Management, das ist das Verschieben von Verantwortung.

In der guten alten Zeit gab es mal die RACI Matrix. Die kennen Sie sicher, sie macht diese schöne Unterscheidung zwischen Responsible und Accountable. Wer Responsible ist, hat etwas zu tun. Wer Accountable ist, hält den Kopf dafür hin, dass etwas getan wird. In unserem Beispiel ist der Zulieferer Responsible. Und die Führungskraft wäre Accountable für das Ergebnis. Hmm. Hält er oder sie wirklich den Kopf dafür hin, dass ein Ergebnis zum Termin da ist?

Vielleicht liegt es an den fehlenden Konsequenzen für die nicht vorhandene Accountability. Wer den Kopf für etwas hinhält, muss mit der Guillotine rechnen. So kenne ich das aus amerikanisch geführten Unternehmen. Es rollen nicht immer gleich Köpfe, aber die Rückmeldung über schlechte Performance und Unzufriedenheit erfolgt direkt und unmittelbar.

In deutschen Büros und Konferenzräumen geht es da gediegener zu – offenbar sind wir weitaus toleranter als unsere amerikanischen Kollegen. Niemand wird offen angegriffen, Konflikte sind tabu. Man pflegt einen professionellen Umgang. Ist das wirklich professionell?

Wie professionell ist es, Mitarbeiter nicht in ihre Verantwortung zu nehmen? 

Was also tun Sie, wenn Ihr Bereichsleiter, Ihre Bereichsleiterin das Ergebnis leider verpasst? Auch Bereichsleiter sind Mitarbeiter. Sie haben eine Aufgabe übernommen und stehen für das Ergebnis gerade.

Schimpfen Sie dann gemeinsam auf den Abteilungsleiter und die Teamleiter darunter, machen ihm oder ihr Druck, damit endlich alles beigeschafft wird? Oder nehmen Sie Herrn oder Frau Bereichsleiter in die Pflicht, den eigenen Job zu machen und für das Ergebnis zu sorgen?

Denken Sie darüber nach, welche Schule dieses Beispiel macht. Herr oder Frau Bereichsleiter erfährt keine Konsequenzen, wenn das Ergebnis nicht da ist. Und machen Sie sich nichts vor, auch wenn das Gespräch hinter verschlossenen Türen stattfindet, wird Ihre Reaktion oder Nicht-Reaktion die Runde machen. Die Botschaft an die gesamte Mannschaft ist dann: macht nichts, wenn ich den Termin nicht einhalte. Ist das die Botschaft, die Sie senden wollen?

Wer zuverlässige Mitarbeiter will, muss selbst zuverlässig sein.

Ihre Mitarbeiter wollen sich auf Sie verlassen. Bei Eskalationen, beim Kunden, bei der Karriereförderung. Machen Sie sich klar, was für Sie selbst Verantwortung und Zuverlässigkeit bedeuten. Wofür stehen Sie? Teilen Sie das mit Ihren Mitarbeitern, und halten Sie alle, einschliesslich sich selbst, an diese Messlatte.

Und wenn dann beim nächsten Termin die Zulieferung nicht klappt, überlegen Sie sich die Konsequenzen. Wie sprechen Sie mit dem/der Verantwortlichen? Was können Sie selbst dazu beitragen, dass Sie sich auf Ihr Team verlassen können? Wie zuverlässig verfolgen Sie das Thema, und wie gehen Sie mit jenen Team-Mitgliedern um, für die andere immer wieder einspringen müssen, um das gemeinsame Ergebnis zu retten?

Ich habe beschlossen, mich weiterhin auf Zusagen zu verlassen.

Die Alternative – Misstrauen und Kontrollwahn – ist für mich keine Alternative. Bei Menschen, die ich noch nicht gut kenne, schaue ich genauer hin und beobachte intensiver, ob ihre Zusagen valide sind. Ich bleibe auch dabei, mich selbst näher ans Geschehen zu bringen, wenn Termine kritisch oder nah sind.

Der Schlüssel für den Erfolg liegt oft in den frühen Phasen einer Initiative. Also achte ich hier vermehrt auf Anzeichen für Unzuverlässigkeit und laxe Wahrnehmung von Verantwortung. Dann kann ich rechtzeitig neue Spielregeln einführen, und alle haben Zeit, die neue Art der Zusammenarbeit zu üben.